ein interessanter Einblick
http://www.brandeins.de/magazin/nichtst ... -null.htmlVon Hundert auf Null
Früher hatte er 150 Drehtage im Jahr. Im vergangenen Jahr waren es nur drei. In diesem: noch kein einziger. Der Schauspieler Armin Dallapiccola weiß, was es heißt, wenn die Pausen zwischen den Arbeitstagen immer länger werden.
- Armin Dallapiccola, 56, hat Kuchen gebacken. "Ich habe jetzt ja viel Zeit." Seine Wohnung in Berlin-Mitte ist mit Designermöbeln eingerichtet, an einer Wand hängt ein Aquarell von Norbert Bisky. Dallapiccola ist guter Laune. Am Vortag hat er in einer Großproduktion des Berliner Theaterprojekts Hebbel am Ufer (HAU) mitgespielt. Und nun erzählt er, wie es sich anfühlt, wenn man vom TV-Serienstar zum selten gebuchten Schauspieler wird, mehr Zeit bei Castings verbringt als beim Drehen und sich wieder an bescheidene Theatergagen gewöhnen muss:
"In der RTL-Serie ,Hinter Gittern' war ich von 2001 bis 2002 der Bösewicht Jörg Baumann, eine Hauptrolle. Entdeckt wurde ich von einer Casterin, die mich in einer kleinen Off-Produktion auf der Bühne gesehen hatte. Nach zwei Jahren Serie war Baumann tot, die Figur wurde rausgeschrieben. Danach war ein Jahr Pause, bis Baumann für ein paar Folgen wiederkam, weil die Zuschauer ihn offenbar vermisst hatten. Ich kann mich noch an das Telefonat erinnern, als der Producer fragte: ,Armin, möchtest du wieder zurückkommen? Baumann ist zwar tot, aber jetzt spielst du seinen Geist.' 2006 bis 2007 hatte ich eine Hauptrolle in einer Daily Soap, auch bei RTL, die hieß ,Alles, was zählt': Ich war der fiese Stiefvater der sympathischen jungen Blonden.
Bei der wöchentlichen Serie ,Hinter Gittern' hatte ich 150 bis 160 Drehtage im Jahr. Bei einer Daily werden in einer Woche, an fünf Drehtagen, fünf Folgen mit je 25 Minuten Sendezeit gedreht. Bei der Daily hatte ich drei bis vier Drehtage die Woche, manchmal auch nur zwei. Ich habe ordentlich verdient, und weil ich mir keine teuren oder ungesunden Hobbys zugelegt hatte, konnte ich danach, als ich weniger verdiente, gut von den Reserven leben. In den TV-Serienjahren hatte ich gar keine Zeit, das Geld auszugeben, weil ich dauernd gearbeitet habe. Wir haben das Jahr durch gedreht, das ist Fernseh-Fabrikarbeit.
Das Thema künstlerische Selbstverwirklichung hatte ich mit Drehbeginn abgehakt. Vorher hatte ich Tanztheater, politisches Dokumentartheater und alle möglichen Sachen am Stadttheater oder in der freien Szene gemacht. Meine erste Fernsehrolle hatte ich mit 45.
Es war ein angenehmer Kontrast, jetzt einfach nur TV-Dienstleister zu sein. Das Mechanische, Unpersönliche und Schnelle an der Fernseh-Fließbandarbeit fand ich gerade gut. Mir war klar, ich backe hier Fabrikbrötchen und keine Torten. Dailys zu drehen ist für mich angenehmer, wenn ich mir das Ergebnis nicht anschaue. Sonst ärgere ich mich, dass mir keiner gesagt hat, wenn ich mal nicht richtig im Licht stand oder wenn Szenen, die beim Drehen schön waren, schlecht geschnitten und mit Musik zugekleistert sind. Das Drehen selbst hat mir immer Spaß gemacht, außer wenn ich mit einem zugedröhnten Partner spielen musste, das kann dann etwas anstrengend sein.
Zwei Jahre als Fiesling, das wird zur Hypothek
Die Gage bekommt man dafür, beim Dreh gut und schnell zu funktionieren. Wie ein US-Schauspieler mal so schön sagte, es geht darum, den Text zu können und am Set keine Möbel umzuwerfen. Einen Teil der Gage bekommt man sicher auch dafür, damit zurechtzukommen, dass einen die Leute dauernd auf der Straße ansprechen. Weil ich davor schon 20 Jahre Theater gespielt hatte, wusste ich, dass diese Prominenz nicht mir gilt, sondern nur meiner Fernsehrolle. Das ist ja auch keine echte Starprominenz - wir sind Gebrauchssternchen.
Als die ersten zwei Jahre ,Hinter Gittern' vorbei waren, war ich froh, wieder mit dem Theaterregisseur Hans-Werner Kroesinger zu arbeiten und über zwei Monate ein Stück über Selbstmordattentäter zu proben, ,Suicide bombers on air' hieß das. Das haben wir in den Berliner Sophiensaelen gespielt, ein Kontrastprogramm zu RTL. Dass man am Theater deutlich weniger verdient, hat mich nicht gestört, ich konnte durch meine Ersparnisse weiter gut leben. Jetzt sind die langsam aufgebraucht. Ich habe Sparverträge aufgelöst, die als Altersvorsorge gedacht waren. Im Augenblick weiß ich nicht, was ich im nächsten Jahr arbeiten werde.
Seit etwa drei Jahren ist das so. Früher wusste ich etwa ein Jahr im Voraus, was ich zu tun haben werde. 2011 hatte ich drei Drehtage und war auf 27 Werbe-Castings. In diesem Jahr hatte ich noch keinen einzigen Drehtag. ,Hinter Gittern' war mein Fernsehdurchbruch, ist jetzt aber mein großes Manko, weil ich auf die Rolle des Serien-Fiesen festgelegt bin. Praktisch keiner, der prominent bei ,Hinter Gittern' dabei war, hatte hinterher noch eine größere Fernsehkarriere. Eine Casterin sagt mir: ,Ich kann Sie nicht im Film besetzen. Sie waren doch in der Serie.' Ein Serienschauspieler wird nicht einmal für einen ,Tatort' gebucht. Was ich noch gedreht habe, waren Episodenrollen in ,Die Küstenwache', ,Soko Wismar' oder ,Soko Leipzig', solche Sachen.
Ich merke, dass ich anfange, mich selbst, nicht nur als Profi, wieder durch den Blick von außen wahrzunehmen. Ich frage mich, was habe ich falsch gemacht? Bin ich zu dick, bin ich zu alt, werde ich nicht besetzt, weil ich offen schwul bin? Das ist im Fernsehen, jenseits der Comedy, nicht gern gesehen. Mir fällt so gut wie kein prominenter Fernsehschauspieler ein, der offen schwul ist. Allein dass ich über so etwas nachdenke, macht unfrei und ist unangenehm. Der ausbleibende Erfolg frisst am Selbstwertgefühl. Ich schaue so gut wie nie deutsche Fernsehfilme. Erstens sind sie oft nicht besonders gut gemacht, zweitens denke ich bei jedem zweiten Schauspieler in meinem Alter, das hätte ich auch spielen können, warum haben sie mich nicht engagiert? Ich gehöre halt nicht zum Degeto-Ensemble. Ich sehe im Fernsehen immer die gleichen Gesichter, aber leider nicht meines. Natürlich hat das etwas Kränkendes. Es leuchtet mir überhaupt nicht ein, dass jemand meine Qualitäten nicht sehen will.
Privat ist mein Leben sehr glücklich. Ich habe im Juli geheiratet. Ich kann die freie Zeit gut ausfüllen, hänge nicht depressiv rum. Ich wohne in einer Gegend mit vielen Galerien, bin im Freundeskreis der Komischen Oper, habe ein ausgefülltes soziales Leben. Aber bei jedem Anruf im Hinterkopf zu haben, dass es ein Caster oder Producer sein könnte, ist einfach anstrengend. Im Februar hörte ich, es werde eine neue Serie geplant mit einer Dauerrolle, die für mich ideal gewesen wäre: Ein Proll in meinem Alter, der eine Eckkneipe hat - prollig kann ich, das ist bei der Physiognomie nicht so schwer. Ich hätte sogar kostenlos den Pilotfilm gedreht. Drei Wochen später rufe ich in der Agentur an und höre: Das Projekt ist auf Eis gelegt, die Serie wird nicht gedreht.
Das Angebot ist einfach größer als die Nachfrage, es gibt mehr professionelle Schauspieler in meinem Alter als Rollen. Es wird weniger produziert, die Produktionsetats sinken, die Spitzengagen steigen, die anderen Gagen werden gedrückt. Ich hatte eine Anfrage für die Nachmittags-Soap ,Rote Rosen': Gage für drei Drehtage, wenn es fünf Tage werden, verdiene ich halt weniger pro Tag. Das habe ich nicht gemacht. Es gibt Schauspieler in meinem Alter, die von diesem Beruf allein nicht mehr leben können. Viele bauen sich deshalb ein zweites Standbein auf und jobben irgendetwas.
Ich bin von einem Tag zum anderen vom Off-Theater zu RTL gekommen. Das kann mir auch mit 60 wieder passieren, wenn sie für irgendeine Serie einen netten oder grantigen Großvater brauchen. Aber ich denke eher darüber nach, meine Brücken zum Fernsehen abzubrechen und mich nicht mehr als Fernsehschauspieler auf Abruf zu verstehen. Ich muss das aus meinem Kopf rauskriegen. Theater will ich weiterhin spielen, auch mit weniger Geld. Ich war 45, als ich zum TV-Sternchen wurde. Davor war mein Leben auch gut. Das kann es wieder sein, auch ohne Fernsehen. Ich muss mir finanziell keine großen Sorgen machen. Ich habe einen 17 Jahre jüngeren, wohlhabenden Mann. Es ist doch wunderbar, sich als alternde Blondine von dem Mann, den man liebt, aushalten zu lassen. Ich habe wirklich keinen Grund, mich über mein Leben zu beklagen." -