Von Ulrike (Annette-AWZ) auf dem Arbeitsamt
http://www.out-takes.de/index.php/2012/ ... f-dem-amt/Ich frage mich, ob Menschen, die einen anständigen Beruf gelernt haben auch in Spitzenunterwäsche zum Arbeitsamt gehen. Da ich mir unsicher bin, ob Prostituierte einen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, fühle ich mich in der Schlange zum Empfang der Agentur für Arbeit sehr allein. Ich habe auf Spitze gesetzt um mich wunderschön und unantastbar zu fühlen, die Dame hinter mir auf Moschus. Sie vernebelt mir jedenfalls jeden klaren Gedanken und ich überlege kurzzeitig, ob ich einen Selbstständigenzuschuss bekäme, würde ich ein Bordell eröffnen. „Ich hoffe, ich hab alle Papiere zusammen!“ sagt sie und guckt dabei wie die Frau aus Titanic, die neben Rose und Jack am Geländer hängt kurz bevor sie loslässt und in die Tiefe stürzt. Ich lächle ihr aufmunternd zu, dann werde ich aufgerufen. „Sie sind Schauspielerin, oder?“ Eine Welle der Erleichterung geht durch meinen Körper. Vor mir sitzt jemand, der die Serie kennt, der nett sein und mir durch den Papierdschungel helfen wird!
Ich erkläre ihr, dass mein Arbeitsvertrag gestern zu Ende gegangen sei und ich mich deshalb heute arbeitslos melden möchte. Sie tippt mit und fragt dabei: „Aber Sie spielen da schon noch weiter, nicht? So hobbymäßig.“ Pause… Lange Pause… Ich weiß, dass ich etwas sagen müsste, aber mir fällt nur: „……?????——–!!!!!!!!“ ein. „Nein, ich spiele da nicht weiter. Deshalb bin ich ja hier.“ „Ach – und was macht dann der Ingo?“ Ich wäge ab, ob ich auch ohne Selbstständigenzuschuss ein Bordell eröffnen oder die Dame einfach beruhigen soll, entscheide mich für letzteres und sage: „Der Ingo spielt weiter. Hobbymäßig…“
Ich bekomme eine Nummer und eine neue Ansprechpartnerin im Raum 1003. „Ihr Lebenslauf ist ja komisch.“ Ich weiß nicht so recht, was an einem abgeschlossenen Studium und neunjähriger Berufspraxis komisch sein soll, fühle mich aber sofort schlecht und frage vorsichtig nach: „Wieso?“ „Na hier steht von 2006-2012 nur ein Vermerk. Alles was zählt. Gut und schön, aber was soll das denn heißen? Was soll denn zählen? Was denn Alles? Was zählt denn? Was soll ich mit der Notiz machen?“ Ich denke kurz darüber nach, ob sich rückblickend irgendwann diese sechs Jahre meines Lebens als Notiz anfühlen werden – verwerfe den Gedanken aber sofort zugunsten der Frage, ob verstehendes Lesen eines Lebenslaufs in den Arbeitsbereich einer Arbeitsvermittlerin fällt. „So heißt die Serie, in der ich sechs Jahre gespielt habe.“ „Ach so. Na gut und was haben Sie da gemacht? Regisseur?“ „Nein, ich bin ja Schauspielerin.“ „Ach so, haben Sie also nur geschauspielert.“ Gegen meinen Willen fange ich an mit ihr zu diskutieren. „Das sind zwei völlig unterschiedliche Berufe. Das geht nicht beides zusammen.“ „Na entschuldigen Sie mal. Es gibt ja wohl Leute, die beides können.“ Im Unterschied zu Ihnen beherrsche ich immerhin einen Beruf, sage ich nicht sondern lächle sie schief an und gebe ihr Recht. Wahrscheinlich würde ich den Grundy Ufa – Innovationspreis gewinnen, wenn ich plausibel machen könnte wie effektiv es ist, wenn jeder Schauspieler in einer Daily Soap seine eigene Regie übernimmt. Mist. Zu spät. „Na gut, was schreiben wir denn jetzt bei der Spalte Arbeitgeber rein?“ Es klingt, als würde sie das Wort Arbeitgeber in Anführungszeichen setzen. Als wolle sie die Spalte in meinem Fall lieber in Theaterkursleiter umbenennen. „ZDF?“ „Nein, die Serie läuft auf RTL, aber mein Arbeitgeber ist die Produktionsfirma Grundy Ufa.“ Sie tippt in den Computer Grandi Ufer. Oh bitte ja! Ich will ans rettende andere Ufer! Auf dieser Seite ist man selbst in Spitzenwäsche verloren.
Ulrike Röseberg ist gebürtige Berlinerin (1978) und studierte nach ihrem Abitur Schauspiel an der Hochschule für Film und FernsehenKonrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. Erste Engagements führten sie für drei Jahre nach Österreich, an das Salzburger Landestheater und später nach Bregenz. 2006 kehrte sie nach Deutschland zurück und nahm die Rolle der Annette Bergmann in der Serie Alles was zählt an. Nach sechs Jahren fiel im März 2012 für sie die letzte Klappe, um Zeit und Raum für neue Projekte zu schaffen. Sie lebt mit ihrer Freundin und dem Boxer Balboa in Berlin.
Ulrike Rösebergs Kolumne erscheint regelmäßig im „DU&ICH“ Magazin.
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